Was für ein Rüpel – rücksichtslos, unerzogen. So sieht er auch aus! – Extra umständlich hangeln Sie sich den Trenner herbei, und währenddessen schiessen Sie den Rüpel mit einem tödlichen Blick nieder.
Och, mir doch egal. Diese Dinger sind sowieso der Inbegriff der Bünzligkeit – wie Gartenzäune. – Nun ist aber Schluss mit Nachdenken, jetzt müssen Sie sich konzentrieren. Damit die Kassiererin kein Durcheinander veranstaltet und Ihre Waren auch noch mit einscannt.
Sie ertappen sich bei dem Gedanken, dass der Typ keine Manieren hat und schämen sich dafür. Weil Warentrenner doch Symbol für das immer schlimmer werdende Abgrenzungsverhalten in unserer Gesellschaft sind. – Aus Rücksicht auf die Kassiererin legen Sie dann trotzdem einen Trennstab hin.
Keine Frage: Ich setze mich zum Schwarzen, sonst glaubt er womöglich, ich sei ein Rassist. Ich möchte damit ein Zeichen setzen – für ihn und auch für die anderen Passagiere. Gegen Rassismus! – Als nach Ihnen einer im freien Abteil Platz nimmt, schauen Sie ihn missbilligend an.
Ich setze mich selbstverständlich ins freie Abteil. Ich gehöre doch nicht zu diesen Gutmenschen, die ihr Gutmenschentum ständig demonstrieren müssen. Und schliesslich bin ich hier zu Hause, da kann ich mich hinsetzen, wo ich will. Das wäre ja noch schöner…!
Ich gehe weiter. Es hat bestimmt noch mehr freie Plätze im Zug.
Eigentlich gehe ich viel lieber ins Kino, im Theater langweile ich mich regelmässig. Aber ich reserviere mir sofort Karten für die nächste Vorstellung. Sonst gelte ich als Kulturbanause.
Ich kann grundsätzlich nichts mit dem heutigen Theater anfangen, und das sage ich auch allen. Nur noch Klamauk und Sauereien. Man sollte denen rigoros die Subventionen kürzen.
Ich liebe das Theater, es ist im Gegensatz zum Kino so echt, so unmittelbar. Ich habe zwar nicht ganz verstanden, worum es bei diesem Stück eigentlich ging. Aber zum Glück konnte ich das in den Rezensionen nachlesen. Wirklich sehr interessant.
Sie schnauzen ihn an, er solle gefälligst arbeiten, wie das andere Leute auch täten.
Sie lächeln ihn milde an und sagen, Geld würden Sie ihm nicht geben aber selbstverständlich etwas zu Essen kaufen. Er geht nicht darauf ein, Sie zucken mit den Schultern und setzen Ihren Weg fort. Sie sind zufrieden, dass Sie ihn nicht in seiner Drogensucht unterstützt haben.
Sie ignorieren ihn und gehen einfach weiter. Sie überlegen noch kurz, ob Sie ihn nach seinem Dealer fragen sollen, verwerfen den Gedanken aber, weil der Typ so schmuddelig aussieht.
Sie sagen, dass Sie noch nichts Genaues wüssten. Vielleicht für ein paar Tage nach New York oder so. Sie würden das immer ziemlich spontan entscheiden, ganz nach dem Lustprinzip. Im Januar bereits für den August buchen, das täten doch nur Spiesser, sorry.
Selbstverständlich gehe es wieder nach Mallorca, sagen Sie – wie jedes Jahr. Alles schon gebucht. Flug und Hotel mit Vollpension, all inclusive 500 Franken die Woche. Sonne garantiert. Das Essen sei zwar grauenhaft, aber die Drinks billig. Und damit lasse sich ja alles gründlich runterspülen, haha!
Sie erzählen, dass Sie sich noch nicht definitiv entschieden hätten. Vielleicht Wandern in den Bergen oder allenfalls auf einem Biobauernhof in Italien oder Portugal. Auf jeden Fall irgendwo ausserhalb des Massentourismus, und ganz sicher müsse der Ort mit dem Zug erreichbar sein. Denn es gebe schon genug Leute, die mit ihrer Fliegerei die Umwelt verschmutzten.
…nehmen Sie ihn selbstverständlich an und inhalieren mit sichtbarem Genuss. Obwohl Sie wissen, dass Ihnen davon jedesmal kotzübel wird. Deshalb hoffen Sie, dass Sie bei der nächsten Runde schon wieder weg sind oder bis dahin zumindest heraus gefunden haben, wo die Toilette ist.
…lehnen Sie dankend ab und sagen, dass Sie – nach jahrelangem Kiffen wohlgemerkt – mit meditativen Übungen in weit höhere Sphären gelangen als mit Drogen.
…lehnen Sie entschieden ab und sagen, dass das erstens illegal sei und zweitens gefährlich. Mit einem Joint fange es an, mit einer Spritze im Arm ende es. Und Sie beschliessen, sich künftig von diesen Leuten fernzuhalten.
Sie sind entsetzt, sagen aber, das fänden Sie echt cool und fragen, ob Sie ihr beim Kopftuch auswählen helfen könnten.
Sie sind entsetzt und verbieten ihr ab sofort den Umgang mit diesem Typen. Sonst würden Sie ihn sich mal vorknöpfen.
Sie sind entsetzt, sagen aber, Sie würden ihre Gefühle selbstverständlich respektieren. Sie solle doch mit Ali einmal vorbeikommen, damit Sie ihn kennenlernen könnten. Am besten lade sie seine Eltern auch gleich ein. Sie wisse doch, Ihr Haus sei ein offenes Haus, auch für Menschen aus anderen Kulturen.
Sie denken, das geht doch die überhaupt nichts an. Sie sagen aber, sie beide hätten es total gut miteinander. Allerdings sei Sex heutzutage total überbewertet. Dazu lächeln Sie säuerlich und legen Ihrem Partner liebevoll die Hand auf die seine.
Sie denken, das geht doch die überhaupt nichts an. Sie sagen aber: Super, sie seien scharf aufeinander wie eh und je. Ihr Partner nickt und lacht und klopft dem staunenden Freund kräftig auf die Schulter. Dann wechseln Sie das Thema.
Es laufe super, sagen Sie. Sie beide würden sich auch nicht mit dem spiessigen Zweierkisten-Quatsch rumquälen. Wenn von ihnen beiden jemanden kennenlerne und Lust habe, mit ihm ins Bett zu gehen, tue er das. Dann lachen Sie ein nervöses Lachen und versuchen, nicht daran zu denken, wo Ihr Partner wohl die letzte Nacht verbracht hat.
Sie loben das feine Essen und den fantastischen Tee. Dann schneiden Sie ein Thema an, das in Ihren Kreisen immer gut ankommt, und es funktioniert auch hier: Im Nu ist man mitten drin in der Diskussion über die anderen, die nicht darauf achten, was und wieviel sie essen, die rauchen und trinken wie wenn sie mehrere Leben zur Verfügung hätten. Ja, sagen Sie, und wir bezahlen die Folgen dann alle mit, mit ständig steigenden Krankenkassenprämien.
Sie schauen sich um, ob noch etwas anderes auf den Tisch kommt. Als dem nicht so ist, sagen Sie: «Geil, ich habs schon lange nicht mehr als Tee gehabt, ich rauchs eigentlich immer.»
Sie hoffen, dass das Dessert bald kommt, sodass Sie nach einem Schnaps fragen können.
«Mensch», sagen Sie, «das hätt ich fast vergessen. Jetzt, wo der Topf proppenvoll ist.» Und Sie füllen auch gleich einen Zettel aus.
«Ja, der Herr Müller!», sagen Sie und grinsen, «immer noch voller Hoffnung, was?» Als Sie auf der Tafel sehen, dass 21 Millionen im Jackpot sind, beschliessen Sie, später, wenn der Müller weg ist, nochmals vorbeizukommen.
Sie nicken Ihrem Nachbarn zu. Er ist nicht so Ihre Wellenlänge. Ein Prolo halt, typisch, dass der Lotto macht, denken Sie und kaufen sich wie immer den «Spiegel».